Die Vorgeschichte
Auf wundersame Weise entwickelt jede Generation ihre eigenen Ausdrucksformen.
Die "Kids" prägen die kulturelle Entwicklung der Gesellschaft mit,
ob es ihr passt oder nicht. "HipHop" heisst die Zauberformel der Generation
der heute 15 bis 25-Jährigen und meint nicht weniger als eine weltumspannnende
Subkultur der Jugend. Mögen ihre Wurzeln auch in den Ghettos amerikanischer
Großstädte liegen, so fühlen sich Jugendliche in Berlin,
Hamburg oder München längst in ihr heimisch und rappen, breaken,
tanzen, jammen, skaten und sprayen, was das Zeug hält. Und wie selbstverständlich
suchen und finden sie darin einen Ausdruck ihrer ureigensten Gefühle
und Wünsche: musikalisch, tänzerisch, theatralisch und - per
Graffiti - sogar im hehren Hort der bildenden Kunst.
Eine Idee lag also quasi in der Luft und hieß: die erste "HIPHOPERA".
Ihre Initiatoren betrachten die "Westside-Story" oder "Hair" und mehr vielleicht
noch "Sarafina" als historische Vorbilder. Der Gedanke, Jugendliche für
eine HipHop-Oper zu casten, entstand Ende 1996 nach einer äußerst
erfolgreichen Researchphase in 40 Münchner Jugendeinrichtungen. Die
Jugendlichen sollten in alle Bereiche einer Bühnenproduktion eingebunden
werden, professionell unterstützt und gecoacht. Der Inhalt des zu
schreibenden Werkes lag auf der Hand: die Lebensrealität der Jugendlichen
selbst und ihre musikalisch-ästhetisch geprägte Welt, die HipHop-Kultur.
Im Herbst 1997 qualifizierten sich in ausgedehnten Castings 40 Jugendliche
für die Teilnahme an diesem Projekt. Zwischen Januar und September
1998 folgten die ersten Schritte: Die "WestEndOpera-Schule" bot Kurse in
den Bereichen Tanz, Stimmbildung, Bühnenpräsenz, körperliche
Fitness und Kondition an mit dem Ziel, zunächst ein semiprofessionelles
Niveau des Ensembles zu erreichen. Gleichzeitig entstanden Text, Musik,
Dokumentations- und PR-Materialien. Profis führten die Jugendlichen
auch in alle Bereiche des Bühnen- und Kostümbilds, der Requisite
und Maske ein.
Im September 1998 kam dann der nächste und entscheidende Schritt:
Vollprofessionalisierung und Start der Operninszenierung. Bereits im April
1999 wird in verschiedenen Stadtteilen Münchens eine Serie von "Try-Outs"
präsentiert, daran schließen Weltpremiere und der Take-Off für
eine 2-jährige Deutschland- und Europa-Tournee an.
Die WestEndOpera ist ein Projekt von "Kontrapunkt e.V. - Jugend Kunst
Kultur" in Zusammenarbeit mit verschiedenen Referaten der Landeshauptstadt
München und dem Arbeitsamt München. Es steht unter der Schirmherrschaft
des Oberbürgermeisters Christian Ude. Zum weiteren Unterstützerkreis
gehören mehrere Firmen und Privatpersonen.
Das Ensemble
Das aktuelle Ensemble besteht aus 26 jungen Erwachsenen unterschiedlichster
Ethnien zwischen 17 und 32 Jahren, die aus 12 verschiedenen Ländern
kommen. Die kulturellen und sozialen Unterschiede und Gegensätze werden
durch das gemeinsame Ziel überwunden, ihr eigenes Leben authentisch
auf die Bühne zu bringen. Daraus resultieren ein Höchstmaß
an persönlicher Identifikation und eine geballte Ladung vitaler Energie
für kraftvolle Choreographien, Gesangs- und Rap-Nummern, Street- und
Breakdance, Skating, Graffiti- und Video-Art, die ein hochspannendes Bild
der Jugend im Übergang zum neuen Jahrtausend zeichnen.
Wir schreiben das Jahr 2039 und befinden uns in der "WestEndMall", einem
High-Tech-Shopping-Center. Hier wird das Revival der Jugendästhetik
der vergangenen Jahrtausendwende präsentiert: eine Modenschau im HipHop-Stil.
Doch das Interesse der 60-jährigen Dame, Vivien, gilt nicht der "streetfashion
1999", um die so viel verkaufsfördernder Wirbel gemacht wird, sondern
einer alten Brandmauer, übersät mit Graffiti, den Überbleibseln
einer längst vergangenen Epoche. NTBS ("Never To Be Seen") unerkannter
Sprayer ist Chronist der Ereignisse.
Zeitsprung rückwärts ins Jahr 1999, derselbe Ort:
Wir befinden uns mit der 20-jährigen Vivian im "WestEndHaus",
einer verlassenen Industrieruine und Treffpunkt der Kids, die hier quatschen
und abhängen, tanzen und skaten. Bedrohungen von außen schweißen
sie zusammen. Sie beschützen Serap, eine junge Türkin im 2-Welten-Konflikt
gegen Vater und Bruder, stellen sich vor Yola, die endlich clean geworden
ist, gegen Wollo, den Dealer.
Bedroht wird der Mikrokosmos durch das Näherrücken der Baumaschinen,
die das gesamte Gebiet in ein Konsummekka verwandeln sollen. Da scheiden
sich die Geister: bleiben, um jeden Preis oder einen Preis für die
"Heimat" verhandeln.
Zwischen den beiden Protagonisten - Spin und Wizz - steht Vivian, unentschieden.
Auch die anderen Kids sind hin- und hergerissen, suchen eigene Standpunkte:
glaubwürdig bleiben oder sich biegen, Herz oder Verstand, mainstream
oder underground? Es entsteht Zündstoff zwischen Spin, der für
unangepasste Authentizität steht, ein Rebell gegen die Geldgesellschaft,
und Wizzard, der sich anpassen und Kohle machen will. Wizzard ist mit einer
sensationsgeilen TV-Reporterin im Bunde, die dem ultimativen Ghetto-Feeling
auf der Spur ist. Er will sich und alle "Homies" mit den Planern und Finanzierern
arrangieren. Spin fällt eine einsame Entscheidung mit Folgen.
Am Ende singt Vivian ihr Lied in den Trümmern des WestEndHauses,
sie singt vom Haus, von den Kids, von ihrer Freundin Yola, die viel zu
früh starb und von ihren Erinnerungen an damals:
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