Samstag, 20. Mai 2000        Braunschweiger Zeitung

Verblüffend professionell, mächtig effektvoll: Münchner Hip-Hop-Projekt ist in Mienersen zu Gast
Die Sehnsucht nach der coolen Jugendbewegung
Von Harald Likus

MEINERSEN. Multicool und multimedial, multikulti sowieso, molto vivace aber auch und damit vor allem ­ mächtig effektvoll. Die heißblütige Truppe "HipHopera" fegte gestern mit ihrem Musical "Cool" über die Bühne des Kulturzentrums in Meinersen. Der Rest war Staunen.
Staunen über die Professionalität eines Kulturprojektes, das nicht zuletzt der Berufsberatung und dem Jugendamt der Stadt München seine Existenz verdankt. Staunen auch darüber, wie der Kulturverein Meinersen das Kulturzentrum auf das Kultstück vorbereitete. Die Aufbauten machten es nötig: Wo sonst die Bühne ist, saß das Publikum, wo sonst die Zuschauer sind gingen die Hip-Hopper zur Sache.
Und wie: Zu wuchtigen von Band eingespielten Rhythmen sangen und tanzten, sprühten und reimten sie, wilde Mädchen mit langen Haaren und eng anliegenden Tops, coole Jungs mit Mütze und Schlabberhose. Die Themen der immerhin mehr als ein Dutzend Hip-Hopper: Ghetto, Gewalt und Sexualität, Drogen, Unterdrückung und immer die Sehnsucht nach der eigenen coolen Jugendbewegung.
Das mit dem Ghetto und der Jugendbewegung wirkt zwar manchmal ganz schön aufgesetzt, manchem Darsteller gelingt der Tigergang und die Großstadtschnauze nicht so ganz authentisch. Wirklich wohltuend ist dagegen die Abwesenheit einer heuchlerischen "Eigentlich haben wir uns doch alle lieb"-Pädagogik. Bei einem politisch begonnenen, öffentlich geförderten, mittlerweile stolz um die Welt geschickten Projekt wie diesem, ist es erfreulich, wie frisch und undressiert sich die jungen Künstler in ihre Rollen warfen. Und Hip-Hop singen und tanzen können sie sowieso.
Zudem gibt es geschickte Effekte. Einer hat häufig eine Handkamera unterm Arm, mit der er zum Teil wunderbare Standbilder auf die Großleinwand zaubert, die neben der zünftig vollgesprühten Mauer-Atrappe den Bühnenhintergrund dominiert.
Deutlich erkennbar ist auch die Mühe, sich nicht nur auf die Hip-Hop-Power der Boxen zu verlassen. Natürlich gibt es auch gequälte Reime-"wir brauchen keine Wanzen, die sich hier verschanzen" -, grundsätzlich jedoch sind die Texte ausgefeilt. Die Probleme einer jungen Türkin in der Zwickmühle von angestammter und Hip-Hop-Familie wurden eindringlich in Worte gefasst und fesselnd gespielt. Auch die Story um den Rückblick aus dem Jahr 2039 ist gut überlegt.
Viele der Schüler aus Meinersen, Weyhausen und Meine, die gestern Vormittag das Kulturzentrum füllten, schienen ganz dieser Ansicht zu sein. "Ich bin echt begeistert", sagte etwa Daniel Hebenstreit, Neuntklässler aus Meine. Dass der Applaus recht verhalten blieb ­ zu verhalten, wie die Meiner Lehrerin Gabi Sage meinte-, wird nichts mit Ablehnung zu tun haben. Vielleicht damit, dass keine Schmusekatzen und ­kater auf der Bühne standen, sondern harte Mädchen und toughe Typen.
Heute Abend, Beginn 20 Uhr gibt es die dritte und letzte Vorstellung im Kulturzentrum. Balletttänzer aus Hildesheim tanzen im Vorprogramm.