Tanz Affiche, Eine Publikation für Tanz und Kultur, Juni 1998

Die erste HipHop-Opera entsteht derzeit in München
Mit 53 Jugendlichen soll im Herbst Premiere sein, Tournee folgt

Die ungeduldig brodelnde jugendliche HipHop-Kultur: Rappen, Breakdance, Sprayen, Skaten, Rollerbladen ­ ein ungeheures Potential. Ob in den schwarzen Vierteln von New York, in der französischen "banlieue" oder in den öden deutschen Vorstädten. Die Talente braucht man nur von der Straße aufzulesen. Das Elster-Team ­ Komponisten-Musiker-(Theater)Autoren-Trio Vridolin Exing, Klaus-Peter Lieckfeld, Dick Städtler ­ tat es. Und testet klug schon mal vor dicht gepacktem Publikum im Münchner Schlosszelt den Rohbau dessen, was als "WestEndOpera" im Herbst professionell über eine Münchner Bühne und dann ­ Wunschtraum ­ sogar zwei Jahre auf Tournee gehen soll: als erste "HipHopera" in der jungen Geschichte dieser Straßenkultur.
Der enthusiastische Applaus am Ende der "Workshow" ist für die 53 Kids (via Audition von 132 ausgesucht) aus allen Münchner Stadtteilen ­ und 20 Nationalitäten ­ nicht nur Anerkennung fürs Schuften während der viermonatigen "WestEndOpera"-Schulung durch das Initiatoren-Trio und weitere Lehrkräfte, sondern auch Ansporn, jetzt ­ "ihre!" ­ Westendoper "auf Bühnenform" zu bringen. Initiative und Kreativität werden maximal gefordert. Denn, wie workshop-gerecht, aber dabei sehr unterhaltsam vorgestellt wurde, entwerfen die jungen Leute ­ unter Anleitung, Kritik, Hilfestellung des Lehrer-Teams ­ selbst ihre Ausstattung, komponieren ihre Musik, schreiben gemeinsam das Textbuch: eine Story rund um Authentisches aus der eigenen Situation, von der Arbeitslosigkeit bis zur Drogensucht und den zwangsweisen multikulturellen Reibungen. Schon prima gelungen ist der Rapsong des jungen Türken ­ auf türkisch ­ der seine abtrünnige Schwester für "die Hochzeit unterm Halbmond" bewahren will. Und fetzig die Rap-Battle, 90er Jahre-Version der puertorikanischen "Sharks contra Jets" aus der guten alten "West Side Story".
Das Singen, ob im Gruppen-Rap oder amerikanischen Nostalgie-Musicalsound, kann sich hören lassen. Und bravourös der solistische Breakdance. Vielfach-Pirouetten auf Schulter und Kopf, eine Technik, dem ausgefeilten US-Streetdance ebenbürtig, die allerdings schon mitgebracht wurde. Das vorgeführte Kampftanz-Training des gesamten Ensembles zeigte, daß diese Körperkunst sich nicht so schnell erlernt. Und auch der Modern Dance muß, um bis zum Herbst bühnenreif zu werden, von Profi-Teachern forciert werden. Aber die Mädchen und Jungs sind sympathisch, klug, im Gespräch sehr artikuliert, wie das gleichzeitig selbstgefertigte Arbeitsvideo nochmals demonstrierte. Und diese begabten begeisterungsfähigen jungen Menschen müßten eigentlich die beste Werbung sein für die dringend gesuchten "Paten". Zwar haben Münchner Kulturreferat, Kreisjugendring und Sozialreferat für Arbeit und Wirtschaft schon spontan in die Tasche gegriffen (mit 250.000 Mark), auch eine Reihe von Sponsoren (u. a. mit Ton- und Technik-Material). Aber bis zur Vollendung dieser ersten "HipHopera", soll sie das "Hair"-Musical der 90er werden, liegt noch eine lange finanzielle Durststrecke (ungefähr 1,5 Millionen Mark). Wenn man bedenkt, dass mit einem solchen Projekt nicht nur kreatives Potential gefördert, Jobs geschaffen, sondern auch Jugendkriminalität verhindert werden, ist ein Beitrag dazu im Grunde ein Sparvertrag zu eigenen Gunsten.
 

Malve Gradinger
 
 

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