Die Welt (Hamburg), 1. Dez. 1999

Graffiti, Grooves und die großen alten Themen
Fast wie im richtigen Teenager-Leben: Das Münchener HipHop-Musical "WestEndOpera" gastiert auf Kampnagel

Cool. Eine Posse von 31 Jugendlichen verschiedenster ethnischer Herkunft, allesamt zwischen 17 und 31 Jahre alt, ihre Geschichte in Musik verwandelt. Ihre Geschichten, Plural: so verschieden, wie sie nur sein können. Nur in einem Punkt sind sie gleich: Vor zwei Jahren meldeten sie sich auf eine Anzeige, in der die Crew für ein HipHop-Musical gesucht wurde, Darsteller und Rapper, Sänger und Tänzer, Techniker und Komponisten, Texter und Dramaturgen ­ eine Crew eben, komplett. Für ein HipHop-Musical, das erst noch geschrieben werden musste, und zwar von Anfang an. Das war cool. Und von den mehr als 150 Jugendlichen, die sich im November 1997 auf diese Anzeige gemeldet haben und zum Casting erschienen, blieben zunächst 53 Jugendliche übrig, die sich in den nächsten vier Monaten jede Woche fünf Tage lang in der "WestEndOpera-Schule" das nötigste Handwerkszeug erarbeiteten. Bis zur Premiere beim Münchener Tollwood-Festival im Juni hatte sich die Zahl derer, die die harte Disziplin der Stückentwicklung durchhielten, auf 31 verkleinert, und nun legt die "WestEndOpera" auf ihre Europatour für knapp drei Wochen in Hamburg auf Kampnagel an. Die Anzeige, die das Projekt ins Rollen brachte, hatte Vridolin Enxing, Jahrgang 1950, aufgegeben, ein mittlerweile ins tiefste Wohlstandsbayern verschlagener Ex-Floh de Cologne, Arrangeur und Komponist, der sich in den beiden vorangegangenen Jahren mit Workshops in den Jugendzentren der Münchener Vorstädte zu einem begeisterten Kenner des dort noch ungeschürften Talents entwickelt hatte. HipHop war der gemeinsame Nenner, das Idiom, in dem die Jugendlichen ihre Sprache suchten, einige als DJs und Produzenten, andere als Rapper und MCs, wieder andere als Sprayer, als Breakdancer ­ und Enxing sah eine Marktlücke: HipHop-Gruppen gibt es tausende, aber eine größere Geschichte in den Farben und Tönen von HipHop zu erzählen, professionell, aber mit "Respect" und "Street-Credibility", das ist neu. Und eine solche musikdramatische Idee mit einem Ensemble zu realisieren, das noch über keinerlei professionelle Erfahrung verfügte, mit Teilnehmern, die bei diesem Projekt erst ihre künstlerische Ausbildung durchliefen, das ist noch neuer. Enxing sammelte für seine Idee ­ und die Stadt München förderte mit Begeisterung. Was tun?, hieß die erste Frage. Zur Schule gehen, Singen, Tanzen, Selbstverteidigung üben, sich mit Sound und Beleuchtungstechnik beschäftigen, war die Antwort. Und seine Geschichte erzählen: Ein Buch entstand, etliche hundert Seiten dick, und darin standen die Geschichten, die junge Menschen heute erleben ­ der Realitätsfundus für das, was nun zum Plot der "WestEndOpera" geworden ist und die Rückversicherung, dass die Münchener Jugendlichen beim Schreiben des Librettos sich nicht in Regionen bemühen mussten, die sie nicht selbst erlebt haben. Auch so bleiben die großen Themen: Kunst und Kommerz, Liebe und Loyalitäten, Familie und Freundschaft ­ umgesetzt mit Drive und Flow, mit fetten Grooves und gestapelten Rhymes, fetzig choreografiert und mit der Überzeugungskraft derer auf die Bühne gelegt, die wissen, dass sie hier ihre eigene Geschichte tanzen, rappen, sprühen. Nur eine bange Frage ist geblieben: Was sagen die Kids in der HipHop-Hochburg Hamburg, wenn sie das Großformat der Münchener zu hören bekommen? Respect?

Von Stefan Hentz
 
 

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