Ein Sneaker ist ein fetter Sportschuh
Münchner Jugendliche haben ein eigenes HipHop-Stück auf die
Bühne gebracht: "Cool"
Am Ende dröhnte der Applaus, die Besucher sprangen von den Bänken
und verlangten Zugaben. Darauf war das Ensemble nicht vorbereitet und so
wurde einfach die Lieblingsszene wiederholt. Eine brodelnde Mischung aus
Breakdance, HipHop, Skate und Rap riß die Zuschauer mit. 38 Jugendliche
aus 13 Ländern zeigten hier auf dem Münchner Tollwood-Festival
das Ergebnis einer zweijährigen Arbeit.
Die Idee zu dieser WestEndOpera hatte der Komponist und Musiker Vridolin
Enxing, früher Mitglied der Kölner Rockgruppe Floh de Cologne.
Er tourte im Auftrag der "Stiftung Deutsche Jugendmarke" zwei Jahre lang
durch Münchens Jugendfreizeitstätten und stellte dafür sein
mobiles Aufnahmestudio zur Verfügung. Mit Vorurteilen über Jugendliche
aus "belasteten" Bezirken beladen stellte er bald fest, daß hier
natürliche Musikalität und großes Talent vorhanden waren.
Er holte sich Unterstützung aus der Stadt, von zwei früheren
Kollegen und begann das Projekt "WestEndOpera".
53 von 132 Bewerbern wurden ausgebildet in Singen, Rappen, Komponieren,
Tanzen, Filmen und Layouten. Selbst ein paar Vorlesungen Musikgeschichte
gehörten zum Programm. Ein ziemliches Pensum für junge Leute,
die gerade eine Ausbildung abgebrochen hatten, auf der Straße rumhingen
oder unlustig in die Schule gingen. Monatelang wurde fünf Tage pro
Woche geprobt, 38 Jugendliche zwischen 16 und 26 sind bis heute dabei.
Vridolin Enxing betont, daß es kein soziales Projekt sei, sondern
ein künstlerisches. Natürlich ging es auch um eine Freizeitbeschäftigung
für Jugendliche, die zum Teil eine aussichtslose berufliche Zukunft
vor sich hatten, aber es wurden nicht die sozialen Härtefälle
ausgewählt, sondern die besten. Und so wurde es keine "Schulaufführung
engagierter Oberschüler", sondern eine professionelle Inszenierung.
Die Geschichte des Stückes beginnt im Jahr 2039, als sich eine
Frau an ihre Jugend erinnert. Damals, 1999, gehörte sie zu einer Gruppe
junger Leute, die ihren Treffpunkt im WestEndHaus hatten, einer verlassenen
Industrieruine. Auch das Bühnenbild stellt eine Ruine dar, es bietet
Platz zum Agieren auf verschiedenen Ebenen, die Breaker können sogar
parallel ihre Head-pins drehen (Kopf-Pirouetten) und Gruppenduelle wie
in der West Side Story gelingen ausgezeichnet. Die verschiedenen Nationen
sind ein weiterer Reiz. Die Kroatin spielt eine Türkin, die Rumänin
eine Deutsche und die Tochter eines Nigerianers und einer Halbrussin singt
das Lied von ihrer deutschen Freundin, die mit 11 vergewaltigt wurde. Immer
wieder geht es um das Lebensgefühl der jungen Leute, die sich erniedrigt
fühlen, ausgeschlossen und hoffnungslos.
Das Außergewöhnliche an diesem Stück ist, daß
es die Jugendlichen selber geschrieben haben. Nicht ein Künstler hat
sich ausgedacht, wie die Kids miteinander umgehen würden, sondern
auf der Bühne ist Alltag pur. Daß der eine eigene Sprache hat,
ist logisch und konsequent im Programmheft sind Worte wie sneaker
(fetter Sportschuh) und jammen (improvisierte Party) erklärt. Die
Texte, die Musik, die Videoclips, die Ausstattung alles ist selbstgemacht.
Das Ziel war es, das eigene Leben authentisch auf die Bühne zu bringen.
Besonders die Mädchen beeindrucken durch ihre Körpersprache und
stimmliche Vielfalt, auch die männlichen Solisten bewegen sich locker
und gelenkig. Alle Songs sind live gesungen, und selbst die gelingt Kampfsport-Actionsympathisch.
Enxing resümiert: "Die künstlerische Entwicklung der Kids
war leichter, als ich dachte, die menschliche schwerer. Eine Quarte können
inzwischen alle sauber singen, aber daß auch mal die leeren Flaschen
nach der Probe weggeräumt werden, passiert selten." Aber das Projekt
ist ja noch nicht zu Ende. Nach der Premiere geht es auf Tournee nach Italien
und im Juli kann man es wieder in München sehen.
VON ELKE BITTERHOF