Berliner Zeitung  22. Juni 1999

Ein Sneaker ist ein fetter Sportschuh
Münchner Jugendliche haben ein eigenes HipHop-Stück auf die Bühne gebracht: "Cool"

Am Ende dröhnte der Applaus, die Besucher sprangen von den Bänken und verlangten Zugaben. Darauf war das Ensemble nicht vorbereitet und so wurde einfach die Lieblingsszene wiederholt. Eine brodelnde Mischung aus Breakdance, HipHop, Skate und Rap riß die Zuschauer mit. 38 Jugendliche aus 13 Ländern zeigten hier auf dem Münchner Tollwood-Festival das Ergebnis einer zweijährigen Arbeit.
Die Idee zu dieser WestEndOpera hatte der Komponist und Musiker Vridolin Enxing, früher Mitglied der Kölner Rockgruppe Floh de Cologne. Er tourte im Auftrag der "Stiftung Deutsche Jugendmarke" zwei Jahre lang durch Münchens Jugendfreizeitstätten und stellte dafür sein mobiles Aufnahmestudio zur Verfügung. Mit Vorurteilen über Jugendliche aus "belasteten" Bezirken beladen stellte er bald fest, daß hier natürliche Musikalität und großes Talent vorhanden waren. Er holte sich Unterstützung aus der Stadt, von zwei früheren Kollegen und begann das Projekt "WestEndOpera".
53 von 132 Bewerbern wurden ausgebildet in Singen, Rappen, Komponieren, Tanzen, Filmen und Layouten. Selbst ein paar Vorlesungen Musikgeschichte gehörten zum Programm. Ein ziemliches Pensum für junge Leute, die gerade eine Ausbildung abgebrochen hatten, auf der Straße rumhingen oder unlustig in die Schule gingen. Monatelang wurde fünf Tage pro Woche geprobt, 38 Jugendliche zwischen 16 und 26 sind bis heute dabei. Vridolin Enxing betont, daß es kein soziales Projekt sei, sondern ein künstlerisches. Natürlich ging es auch um eine Freizeitbeschäftigung für Jugendliche, die zum Teil eine aussichtslose berufliche Zukunft vor sich hatten, aber es wurden nicht die sozialen Härtefälle ausgewählt, sondern die besten. Und so wurde es keine "Schulaufführung engagierter Oberschüler", sondern eine professionelle Inszenierung.
Die Geschichte des Stückes beginnt im Jahr 2039, als sich eine Frau an ihre Jugend erinnert. Damals, 1999, gehörte sie zu einer Gruppe junger Leute, die ihren Treffpunkt im WestEndHaus hatten, einer verlassenen Industrieruine. Auch das Bühnenbild stellt eine Ruine dar, es bietet Platz zum Agieren auf verschiedenen Ebenen, die Breaker können sogar parallel ihre Head-pins drehen (Kopf-Pirouetten) und Gruppenduelle wie in der West Side Story gelingen ausgezeichnet. Die verschiedenen Nationen sind ein weiterer Reiz. Die Kroatin spielt eine Türkin, die Rumänin eine Deutsche und die Tochter eines Nigerianers und einer Halbrussin singt das Lied von ihrer deutschen Freundin, die mit 11 vergewaltigt wurde. Immer wieder geht es um das Lebensgefühl der jungen Leute, die sich erniedrigt fühlen, ausgeschlossen und hoffnungslos.
Das Außergewöhnliche an diesem Stück ist, daß es die Jugendlichen selber geschrieben haben. Nicht ein Künstler hat sich ausgedacht, wie die Kids miteinander umgehen würden, sondern auf der Bühne ist Alltag pur. Daß der eine eigene Sprache hat, ist logisch und konsequent ­ im Programmheft sind Worte wie sneaker (fetter Sportschuh) und jammen (improvisierte Party) erklärt. Die Texte, die Musik, die Videoclips, die Ausstattung ­ alles ist selbstgemacht. Das Ziel war es, das eigene Leben authentisch auf die Bühne zu bringen. Besonders die Mädchen beeindrucken durch ihre Körpersprache und stimmliche Vielfalt, auch die männlichen Solisten bewegen sich locker und gelenkig. Alle Songs sind live gesungen, und selbst die gelingt Kampfsport-Actionsympathisch.
Enxing resümiert: "Die künstlerische Entwicklung der Kids war leichter, als ich dachte, die menschliche schwerer. Eine Quarte können inzwischen alle sauber singen, aber daß auch mal die leeren Flaschen nach der Probe weggeräumt werden, passiert selten." Aber das Projekt ist ja noch nicht zu Ende. Nach der Premiere geht es auf Tournee nach Italien und im Juli kann man es wieder in München sehen.
VON ELKE BITTERHOF
 
 

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