Focus 49/1999

HIPHOP-OPERA

Ausbruch aus dem Ghetto
Das viel gerühmte Musical "Cool" der Münchner Jugendgruppe WestEndOpera gastiert erfolgreich in Hamburg

Bildunterschriften:
COOL SEIN füllt den Tag. Das WestEndOpera-Ensemble erzählt die Geschichte vom WestEnd-Haus. Etliche Kids haben es zu ihrer Heimat gemacht. Nun soll es abgerissen werden...
DIE WESTENDOPERA zählt derzeit 23 Jugendliche aus 14 verschiedenen Ländern.
Das Projekt "Cool" ist bislang einzigartig in Deutschland. Der Versuch, junge Erwachsene aus ganz unterschiedlichen ethnischen Milieus unter dem Dach des HipHop zusammenzubringen, führte zu unerwartetem Erfolg. Jetzt geht das Musical auf Tournee.

Artikel:
Am Anfang stand die gut gemeinte Idee. Wie kann man Jugendliche weg von den Drogen und hin zur künstlerischen Freiheit führen? Der Münchner Musiker und Komponist Vridolin Enxing, in den 70er-Jahren Mitglied der Politrock-Band Floh de Cologne besuchte von 1994-1996 Jugendfreizeitstätten, stellte sein mobiles Aufnahmestudio zur Verfügung und trainierte Mädchen und Jungen aus 42 Nationen in 33 Musik-Workshops. Die Musikalität und das selbstverständliche Agieren der jungen Leute auf der Bühne, die nie eine Schauspielschule von innen gesehen haben, überzeugte Kulturreferat, Jugendamt und das Referat für Arbeit und Wirtschaft der Stadt München. Mit einem Zuschuss von 250 000 Mark gehen Ende 1997 53 Jugendliche aus 17 Nationen ans Werk: singen, rappen, komponieren, tanzen, skaten, fotografieren, texten, filmen, skizzieren und layouten ­ vier Monate lang an fünf Tagen pro Woche. Im Mai 1998 nimmt die WestEndOpera-Akademie den Betrieb auf. Die bühnenrelevanten Techniken werden eingeübt. Und schließlich: Im Juni 1999 steht die selbst komponierte und getextete HipHop-Opera "Cool". Auf dem Tollwood-Festival in München ist Premiere. Zwanzig Minuten begeisterter Applaus. Das Publikum ist verblüfft, weil das Lebensgefühl Jugendlicher aus den 90er-Jahren so authentisch dargestellt wird. Was zum Sozialpädagogenkitsch hätte verkommen können, hat sich zum Kunstwerk entwickelt. Die Story ist einfach: Im Jahr 2039 erinnert sich eine ältere Frau an die HipHop-Kultur von 1999. Sie denkt an Yola, die Drogensüchtige, an Serap, die Türkin, eingeklemmt zwischen westlicher und orientalischer Welt, an den Sprayer NTBS und all die anderen, die sich einst im WestEnd-Haus trafen, einer Bruchbude, die von Bulldozern platt gemacht werden soll. Die 16 bis 26 Jahre alten Darsteller, geführt von erfahrenen Theatermenschen, erfanden Handlung, Texte und Musik. Ihnen geht es vor allem um den Ausdruck von Seelenzuständen. Die Folge von Tanz- und Kampfszenen, Traumbildern und Videosequenzen entfalten alle Macken und Sehnsüchte der HipHop-Welt: sprühen, skaten, rappen, Partys schmeißen. Sie schlagen und lieben sich. "Cool" und das Selbstbewusstsein der Darsteller brauchen das Lob sozialbewegter Kritiker nicht. Nach den großen Erfolgen in München und ­ im Sommer ­ in Kalabrien kann man das WestEndOper-Ensemble in der Hamburger Kampnagel-Fabrik bis 18. Dezember bewundern. Cool ­ für Kids und Eltern!
Stephan Sattler
 
 

zurück zum Hauptmenue