HIPHOP-OPERA
Ausbruch aus dem Ghetto
Das viel gerühmte Musical "Cool" der Münchner Jugendgruppe
WestEndOpera gastiert erfolgreich in Hamburg
Bildunterschriften:
COOL SEIN füllt den Tag. Das WestEndOpera-Ensemble erzählt
die Geschichte vom WestEnd-Haus. Etliche Kids haben es zu ihrer Heimat
gemacht. Nun soll es abgerissen werden...
DIE WESTENDOPERA zählt derzeit 23 Jugendliche aus 14 verschiedenen
Ländern.
Das Projekt "Cool" ist bislang einzigartig in Deutschland. Der Versuch,
junge Erwachsene aus ganz unterschiedlichen ethnischen Milieus unter dem
Dach des HipHop zusammenzubringen, führte zu unerwartetem Erfolg.
Jetzt geht das Musical auf Tournee.
Artikel:
Am Anfang stand die gut gemeinte Idee. Wie kann man Jugendliche weg
von den Drogen und hin zur künstlerischen Freiheit führen? Der
Münchner Musiker und Komponist Vridolin Enxing, in den 70er-Jahren
Mitglied der Politrock-Band Floh de Cologne besuchte von 1994-1996 Jugendfreizeitstätten,
stellte sein mobiles Aufnahmestudio zur Verfügung und trainierte Mädchen
und Jungen aus 42 Nationen in 33 Musik-Workshops. Die Musikalität
und das selbstverständliche Agieren der jungen Leute auf der Bühne,
die nie eine Schauspielschule von innen gesehen haben, überzeugte
Kulturreferat, Jugendamt und das Referat für Arbeit und Wirtschaft
der Stadt München. Mit einem Zuschuss von 250 000 Mark gehen Ende
1997 53 Jugendliche aus 17 Nationen ans Werk: singen, rappen, komponieren,
tanzen, skaten, fotografieren, texten, filmen, skizzieren und layouten
vier Monate lang an fünf Tagen pro Woche. Im Mai 1998 nimmt
die WestEndOpera-Akademie den Betrieb auf. Die bühnenrelevanten Techniken
werden eingeübt. Und schließlich: Im Juni 1999 steht die selbst
komponierte und getextete HipHop-Opera "Cool". Auf dem Tollwood-Festival
in München ist Premiere. Zwanzig Minuten begeisterter Applaus. Das
Publikum ist verblüfft, weil das Lebensgefühl Jugendlicher aus
den 90er-Jahren so authentisch dargestellt wird. Was zum Sozialpädagogenkitsch
hätte verkommen können, hat sich zum Kunstwerk entwickelt. Die
Story ist einfach: Im Jahr 2039 erinnert sich eine ältere Frau an
die HipHop-Kultur von 1999. Sie denkt an Yola, die Drogensüchtige,
an Serap, die Türkin, eingeklemmt zwischen westlicher und orientalischer
Welt, an den Sprayer NTBS und all die anderen, die sich einst im WestEnd-Haus
trafen, einer Bruchbude, die von Bulldozern platt gemacht werden soll.
Die 16 bis 26 Jahre alten Darsteller, geführt von erfahrenen Theatermenschen,
erfanden Handlung, Texte und Musik. Ihnen geht es vor allem um den Ausdruck
von Seelenzuständen. Die Folge von Tanz- und Kampfszenen, Traumbildern
und Videosequenzen entfalten alle Macken und Sehnsüchte der HipHop-Welt:
sprühen, skaten, rappen, Partys schmeißen. Sie schlagen und
lieben sich. "Cool" und das Selbstbewusstsein der Darsteller brauchen das
Lob sozialbewegter Kritiker nicht. Nach den großen Erfolgen in München
und im Sommer in Kalabrien kann man das WestEndOper-Ensemble
in der Hamburger Kampnagel-Fabrik bis 18. Dezember bewundern. Cool
für Kids und Eltern!
Stephan Sattler